„Anna Karenina“ ist jener Roman Tolstois, der gleich dem Werk seines französischen Zeitgenossen Flaubert den Namen einer Frau trägt, die an der Liebe starb, weil sie in einer von Lieblosigkeit beherrschten Welt lebte. Aber im Gegensatz zu Emma Bovary verliert Anna Karenina, indem sie ihrem Herzen und ihren Sinnen folgt, niemals - auch nicht, als sie sich unter die Räder wirft - ihre Würde. Denn der Künstler Tolstoi hat gewußt, daß der Kampf seiner Heldin um Liebe ohne Lüge keine Vermessenheit, keine „Sünde“ war. Es war ein hoffnungsloser Kampf, aber nur, weil er sich in den Schranken einer Klasse ohne Hoffnung abspielte. Anna war nicht stark genug, diese Schranken zu durchbrechen. Tolstoi selbst hat sie, obwohl er es zeitlebens mit zunehmender Leidenschaft versuchte, nicht zu durchbrechen vermocht. Aber er ahnte, daß das Volk die Kraft dazu besaß, sich eine Welt zu erschaffen, in der Liebe nicht mehr tötet.
Aus dem Nachwort von WIELAND HERZFELDE
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