Michel Tournier ist ein Schriftsteller, der es sich nicht leicht macht. Es reicht nicht hin, den Roman „Der Erlkönig“, für den er soeben den Prix Goncourt errang, zu lesen, man muß ihn auch entschlüsseln. Und in diesem Labyrinth von Zeichen, Symbolen, heimlichen Anspielungen laufen wir stets Gefahr, einen Fingerzeig zu übersehen, den Bezugspunkt nicht zu kennen, durch den sich ein scheinbar harmloses Bild von innen erhellt und eine enthüllende Macht gewinnt. Schon der Name des Helden, Abel Tiffauges, trägt eigene Fatalitäten in sich. Abel, das erste Opfer des ersten Mörders, der erste Nomade, getötet vom ersten Seßhaften, Kind des ersten Mannes und der ersten Frau. Tiffauges wie die Burg, auf die Gilles de Rais kleine Kinder verschleppte, um dort seinen absonderlichen Begierden zu frönen. Und gewiß ist es kein Zufall, daß Abels Pferd Blaubart heißt und daß ein Kind ihn in den Tod geleitet. Wie es auch kein Zufall ist, daß die Idee der Unschuld, der ursprünglichen Reinheit, immer wieder eng verschmilzt mit eiskalter Perversion. Der Nazismus, alle Faschismen machen sich auch Menschen zur Beute, die besonders verwundbar sind; die von ihm erweckten Illusionen verblenden bestimmte Typen von Menschen. Michel Tournier hat keine Analyse des Nazismus geschrieben, sondern einen Roman. Seine Hauptfigur, Abel Tiffauges, besitzt eine wirkliche Dichte. Und er hat es verstanden, die Figur lebendig zu machen und die unheilvolle Atmosphäre einer bereits so fernen und noch so nahen Epoche mit einer Kraft zu gestalten, die uns packt und erschüttert.
Martine Monod in „l'Humanité“ (1970)
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